Schriftstellerin Frau schreibt Dicherin

Das lyrische Ich – mehr als nur die Stimme im Gedicht

Viele Menschen gehen davon aus, dass Gedichte stets unmittelbar aus den eigenen Erfahrungen der Autorin oder des Autors entstehen. Oft werde auch ich gefragt, ob die beschriebenen Situationen in meinen Texten wirklich so erlebt wurden. Doch das ist ein Missverständnis. Mit meinem Gedicht „Das lyrische Ich“ wollte ich genau darüber schreiben und zeigen, was dieses besondere literarische „Ich“ eigentlich bedeutet.

Was ist das lyrische Ich?

Das lyrische Ich ist die Stimme, die in einem Gedicht spricht. Es ist eine gestaltete Figur, die Gefühle, Gedanken und Bilder ausdrückt. Diese Stimme muss nicht identisch mit der Autorin oder dem Autor  sein. Vielmehr ist sie eine Art Sprecherrolle oder Maske, die erschaffen wird, um bestimmte Themen sichtbar zu machen – sei es Liebe, Schmerz, Hoffnung oder gesellschaftliche Probleme.

Das lyrische Ich erlaubt es Künstlerinnen und Künstlern, in andere Rollen zu schlüpfen, historische oder fiktive Figuren lebendig werden zu lassen oder die Gedankenwelt ganz anderer Menschen zu spiegeln.

Warum Künstlerinnen und Künstler das lyrische Ich nutzen

Viele Schriftsteller, Dichterinnen oder auch Musiker bedienen sich des lyrischen Ichs, um Erfahrungen darzustellen, die über ihr eigenes Leben hinausgehen. In meinem Fall nutze ich diese Sprecherfigur, um Stimmen hörbar zu machen, die sonst vielleicht übersehen würden: den Soldaten im Krieg, das Kind im Lufschutzkeller, die Frau in Verzweiflung – oder Menschen in anderen extremen Lebenssituationen.

Gleichzeitig ist das lyrische Ich aber auch immer ein Spiegel der Gedankenwelt des Autors oder der Autorin. Die Themen, die Sprache, die Blickrichtung entstehen aus dem Inneren des Schreibenden. So wird das lyrische Ich zu einem Teil von ihm – und macht dennoch etwas Größeres sichtbar.

Es verbindet also beides: persönliche Empfindsamkeit und universelle Menschlichkeit. Durch das lyrische Ich können Erfahrungen greifbarer werden, die sonst im Verborgenen blieben.

 

Das lyrische Ich

Aus meiner Feder Kraft entsteht
ein Wesen, das durch Worte lebt.
Es suhlt sich gern in seinem Schmerz!
Oft zeigt es auch sein kaltes Herz.

Es sehnt sich mal nach Ruhm und Geld,
geht selbstbewusst durch seine Welt.
Ja, manchmal ist es wirklich schlecht,
so arrogant und selbstgerecht.

Es prangert an und spielt sich auf
und lässt Gefühlen freien Lauf,
es sucht verzweifelt nach dem Sinn
und gibt sich dann der Schwermut hin.

Es ist umsichtig, treu und gut,
doch leider fehlt ihm oft der Mut.
Es leidet unter Hass und Streit,
die Menschen tun ihm furchtbar leid.

Es kann sein Leben auch genießen,
voll Liebe in die Arme schließen.
Das Wesen lebt nur auf Papier
und ist trotzdem ein Teil von mir.

 

Fazit: Bedeutung des lyrischen Ichs in der Kunst

Das lyrische Ich ist weit mehr als eine formale Stimme im Gedicht. Es ist ein literarisches Werkzeug, das es Künstlerinnen und Künstlern ermöglicht, Empathie zu wecken, Erfahrungen darzustellen und Perspektiven zu eröffnen, die über das Persönliche hinausgehen.

Es ist zugleich Spiegel und Maske: ein Teil des Autors, aber auch etwas Eigenständiges. Es zeigt, dass Dichtung nicht nur von erlebter Realität handelt, sondern von der Kraft der Vorstellung, durch die Menschlichkeit in all ihren Facetten sichtbar wird.

3 Antworten

  1. Liebe Anja
    Ich mag deine Gedichte sehr oft das eine mehr das andere weniger du machst dir viele Gedanken und ich bewundere dich dafür wie du Dinge auf den Punkt bringst
    Ich denke das aus welcher Perspektive auch immer ich schreibe natürlich auch immer ein Anteil von mir als Mensch preisgegeben wird denn allein mein Blickwinkel ist ganz individuell und subjektiv
    Das Ding ist die Interpretation des Lesers der ja auch geprägt ist von Normen sozialisation und so weiter
    Bitte mach weiter und es wäre mir eine Freude mit dir in Kontakt zu kommen
    Herzliche Grüße und ein schönes Wochenende
    Ulrike

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