Hexe Mittelalter Lindwacht

Über das Gedicht „Hexe“

Mein Gedicht „Hexe“ ist ein gutes Beispiel für ein Werk, das leicht missverstanden werden könnte, wenn man nur den oberflächlichen Inhalt betrachtet. Ein Leser fragte mich, wie ich heutzutage so etwas Abscheuliches schreiben könne. Seiner Meinung nach würde ich den Umgang mit den Frauen, die damals als Hexen verurteilt wurden, gutheißen. (Im Übrigen waren es nicht nur Frauen, sondern auch Männer und sogar Kinder, die als Hexen beschuldigt und verbrannt wurden.) Vielleicht war es genau dieser Kommentar, der mich letztendlich dazu bewegte, meine Gedanken zu meinen Gedichten öffentlich zu machen.

Auf den ersten Blick

könnte man das Gedicht tatsächlich als einen Aufruf zur Verurteilung oder Bestrafung von Menschen missverstehen. Doch das Gegenteil ist der Fall. „Hexe“ ist ein Versuch, uns an eine dunkle und grausame Periode der Geschichte zu erinnern – die Zeit der Hexenverfolgungen, in der unschuldige Menschen aufgrund von Aberglauben und Vorurteilen gejagt, gefoltert und verbrannt wurden.

Im Gedicht wird die „Hexe“ nicht als böse dargestellt, sondern als jemand, der aufgrund seines Andersseins zur Zielscheibe wird. Sie wird von den Dorfbewohnern beschuldigt, für das Unglück der Gemeinschaft verantwortlich zu sein. In den Augen der Gemeinschaft ist sie eine Bedrohung, die beseitigt werden muss. Der Chor der Dorfbewohner, der ihre Schuld predigt, gipfelt schließlich in der Forderung nach dem ultimativen „Strafmaß“ – dem Feuertod. Das Gedicht macht deutlich, wie Menschen aufgrund von Gerüchten, Vorurteilen und Stereotypen Opfer von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Gewalt werden.

Solche „Hexenjagden“ finden auch heute noch in verschiedenen Formen statt – sei es in der Gesellschaft, in den Medien oder in sozialen Netzwerken. Menschen, die aus der Norm fallen oder sich anders verhalten, sind auch heute noch Zielscheiben für Diskriminierung und Verurteilung.

Mit diesem Gedicht möchte ich die Leser dazu anregen, über die Geschichte der Hexenverfolgung hinauszudenken und sich bewusst zu machen, wie tief Vorurteile in unserer Welt verankert sind. Die Frage, wer als „anders“ wahrgenommen wird und warum, bleibt aktuell. Das Thema des Gedichts ist daher ein Appell zu mehr Toleranz, Verständnis und Menschlichkeit.

 

Hexe

 
„So seht euch doch ihr Beinkleid an! 
Sie kleidet sich ja wie ein Mann, 
trägt offen frech ihr rotes Haar, 
verhält sich fremd und sonderbar.“
 
„Ich sah sie wild im Tanz sich wiegen 
um uns‘re armen kleinen Ziegen. 
Ich glaube, sie verhext das Vieh! 
Und in der Kirche war sie nie.“
 
„Der Winter war entsetzlich kalt. 
In meinem Stall ein totes Kalb. 
Ich sag euch, schuld ist dieses Weib. 
Sie ist’s, die ins Verderben treibt!“
 
„Den Pastor wollte sie betören, 
ich konnte Nachts sein Flehen hören. 
Er rief nach Gott, noch voller Pein, 
dort drüben aus dem Birkenhain.“
 
„So glaubt nicht, was die Hexe spricht! 
Sie lügt in euer Angesicht! 
Sie wird auf ihre Unschuld schwören. 
Doch darauf darf hier niemand hören!“
 
„Sagt, wollt ihr eure Leben retten? 
Dann legt sie schnell in schwere Ketten! 
So lasst das Feuer uns entzünden! 
Sie muss nun brennen für die Sünden!“
 
 

4 Antworten

  1. Liebe Anja, genau wie du es gemeint hast habe ich das verstanden. Du hast ein exzellentes Gleichnis für die heutige Zeit geschrieben. Es gibt genug Beispiele dafür wie Menschenleben zerstört werden, wenn sie nicht mit der Menge mitschwimmen. Sehr schön geschrieben. Vielen Dank!

  2. Danke Anja, es sind Frauen die , auch heute noch, nicht gerne gesehen werden.Es Frauen heute noch, durch Schönheit , Aura, Selbstbewusstsein, aus der Norm fallen.
    Damals waren es die “ Hexen“
    Kräuterfrauen, alle der Kirche nicht zugetan, Wahrsagerinnen, .
    Dein Gedicht soll sicher an diese Zeit erinnern, uns ermahnen, denn Vorverurteilungen , es gibt sie immer noch..,..und auch durch Ausgrenzung, bestraft.

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